Warum wir das Gesetz zum „Chancenaufenthaltsrecht“ ablehnen

Das Gesetz zum sogenannten Chancenaufenthaltsrecht ist seit einigen Wochen in Kraft.

Einige Menschen, die bisher nur eine Duldung haben, werden eine Auf­ent­halts­erlaubnis erhalten. Wir unterstützen Menschen die einen Antrag stellen wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten und freuen uns für jede Person, die ein Aufenthalts­recht bekommen kann. Ein Antrag kommt für alle Geduldeten in Frage, die sich am 01.10.2022 seit mindestens 5 Jahren in Deutschland aufgehalten haben.

Informationen des Migrationsamtes Bremen zum neuen § 104c AufenthG finden Sie in den Anhängen.
Das Gesetz lehnen wir ab. Hier sind die Gründe.

„Chancen“ ??

Das Gesetz setzt voraus, dass sich alle Geduldeten unerlaubt in Deutschland aufhalten und eigentlich ausreisen müssten. Es wird der Eindruck erweckt, dass den Geduldeten nun großzügigerweise dennoch eine Chance geboten würde. Tatsächlich ist es aber die Bundesregierung, die eine Chance vertan hat, nämlich die Chance, bisheriges Unrecht zu korrigieren.
Viele der Geduldeten sind Flüchtlinge und hätten als solche längst eine Aufenthaltserlaubnis erhalten müssen.
Gesetzgebung und Verwaltungspraxis haben das aber in teilweise bizarrer Realitätsverleugnung verhindert. So wurden zum Beispiel weniger als 50% der seit 2015 eingereisten afghanischen Staatsangehörigen vom Bundesamt als Flüchtlinge anerkannt.
Auch die Lüge über „sichere Herkunftsländer“ mit der zugehörigen Ignoranz rechtsstaatlicher Prinzipien in den betreffenden Asylverfahren hat Geflüchtete zu Geduldeten gemacht.

Der Krieg gegen die Ukraine ist der erste Krieg seit über 30 Jahren, auf den deutsche Behörden mit der vergleichsweise schnellen Ausstellung von Aufenthaltserlaubnissen an einen Teil der Betroffenen reagiert haben.
Wer wegen der (Bürger)Kriege oder Diktaturen zum Beispiel in Jemen, Somalia, Sudan, Äthiopien, Ägypten, Iran, Irak, Tschetschenien, Dagestan, Syrien nach Deutschland geflüchtet ist, musste und muss sich durch langwierige Verfahren kämpfen und wird in vielen Fällen am Ende als „ausreisepflichtig“ delegitimiert.

Faktische Ausreisehindernisse, wie nicht vorhandene Reiseverbindungen oder nicht funktionierende bzw. nicht kooperierende Auslandsvertretungen (wie zum Beispiel bei Gambia und Guinea), erkennen deutsche Behörden nicht an oder versuchen die Betroffenen dafür verantwortlich zu machen.

Ein mehr als fünfjähriger Aufenthalt in Deutschland macht alle Betroffenen zu faktischen Inländer:innen. Sogar nach dem schon bisher geltendem Gesetz soll nach 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dies wird aber mit teilweise haarsträubenden Begründungen vereitelt.

Ein weiteres Beispiel dafür sind die in Bremen lebenden russischen Staatsangehörigen. Abgesehen von ihren guten Gründen nicht nach Russland reisen zu wollen, ist Ihnen dies wegen der EU-Sanktionen seit Februar 2022 faktisch unmöglich. Uns ist bisher kein Fall bekannt in dem deswegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde.

Die Bundesregierung will die Verantwortung für das eigene Versagen bei der Beendung von Kettenduldungen den Betroffenen in die Schuhe schieben.

„Integrationsleistungen“ ??

Statt den langjährigen Aufenthalt in Deutschland als Grund für ein Bleiberecht anzuerkennen, wird dieser von weiteren Bedingungen abhängig gemacht. Vor allem vom Nutzwert der Menschen für die Ökonomie in Deutschland. Das ist zynische Menschenverachtung. Um dies zu verschleiern wird der reaktionäre Begriff der Integration benutzt. „Integration“ unterstellt die Existenz einer einheitlichen deutschen Gesellschaft in die es sich zu integrieren gilt. Eine solche existiert nur in nationalistischen und völkischen Fantasiegebilden wie dem der „Leitkultur“. Gesellschaft und Staat in Deutschland schaffen es nicht einmal, sozial- und rechtsstaatliche Mindeststandards einzuhalten, sondern begegnen als fremd definierten Menschen systematisch mit rassistischer Ausgrenzung und Diskriminierung, mit racial profiling und tödlicher Polizeigewalt. Von den Menschen mit Duldung werden dagegen im Gesetz „Integrationsleistungen“ gefordert.

Wir lehnen es ab, dass die Gewährung von Grundrechten von Bedingungen abhängig gemacht, und so zur Ausnahme und „Gnade“ herabgestuft werden.