Erläuterung des Anliegens der öffentlichen Petition L21-208:
Öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss der Bremischen Bürgerschaft
Freitag, 6. Juni 2025, 15:30 Uhr
im Haus der Bürgerschaft, Raum 2,
Am Markt 20, 28195 Bremen,
Die Petition zielt auf die Respektierung des Kirchenasyls und den Schutz anderer sensibler Orte vor dem Zugriff von Polizei und Ausländerbehörden zur Durchsetzung von Abschiebungen.
Um den Unterschied zwischen der Haltung des Innenressorts und den Forderungen der Petition zu verdeutlichen, möchte ich zunächst aus der Ihnen vorliegenden Stellungnahme des Innensenators zu dieser Petition zitieren:
„Der Petent versteht darunter [dem Kirchenasyl] offenbar jede Aufnahme einer Person durch kirchliche Gemeinden, um die Abschiebung dieser Person in andere Staaten zu verhindern.
[…]. Der Senator für Inneres und Sport versteht demgegenüber den Begriff Kirchenasyl enger. Im Jahr 2015 ereignete sich eine Besprechung zwischen den Kirchen und dem […] BAMF. […] Die Kirchen und das BAMF einigten sich in diesem Kontext auf ein Dossierverfahren. Den Kirchengemeinden wurden erlaubt (sic!), Einzelfalldossiers zu konkreten Härtefallen an das BAMF zu richten, die dort einer erneuten Prüfung unterzogen wurden. Das BAMF sagte außerdem zu, bis zu einer erneuten Überprüfung des Härtefalldossiers, auf die Durchsetzung der […]Abschiebungsanordnung zu verzichten.
Die Unterscheidung der verschiedenen Lesarten des Begriffs ,Kirchenasyl“ ist deswegen so wichtig, weil der Senator für Inneres und Sport zu keinem Zeitpunkt angekündigt hat, das Kirchenasyl im Sinne des Dossierverfahrens brechen zu wollen. Weder ist das in der Vergangenheit geschehen, noch soll es in Zukunft erfolgen.“
Der Innensenator sieht es also nicht als Bruch des Kirchenasyls an, nachts eine erhebliche Zahl von Polizist*innen loszuschicken, mit der Absicht, eine geflüchtete Person ggf gewaltsam aus dem Schutz einer Kirchengemeinde heraus zu zerren, wie es Anfang Dezember 2024 in der Neustadt passiert ist.
Das Innenressort möchte verfolgte Menschen mit Gewalt aus einer Kirche herauszerren, und sie dafür aus dem Kirchenasyl heraus definieren.
Der Begriff Kirchenasyl ist in der Stellungnahme dementsprechend in Anführungszeichen gesetzt.
Was kommt als Nächstes?
Eine eigene, neue Definition des Innenressorts, wann Schüler*innen einer Schule dort nicht schützenswert im Unterricht sind?
Wann Patient*innen einer Arztpraxis gar nicht wirklich schützenswert dort in Behandlung sind?
Weil beides ja „durchaus unterschiedliche Bedeutungen haben kann“?
Das innensenatorisch definierte Kirchenasyl hat mit der Realität nichts zu tun: Würde man dem folgen, hätte es vor 2015 und jenseits des Dublin- und Dossierverfahrens gar kein Kirchenasyl gegeben, was einfach historisch falsch ist. Will das Innenressort die eigene, jahrzehntelange Geschichte der Duldung des Kirchenasyls nachträglich verleugnen und umschreiben?
Und selbstverständlich verschwindet der Schutzbedarf eines Menschen in den Augen der Kirchengemeinde nicht dadurch, dass das BAMF ein paar stereotype ablehnende Textbausteine schickt.
Die neue Unterscheidung zwischen einem „guten“ (weil wirkungslosen) und einem „bösen“ (weil ernst gemeinten) Kirchenasyl ist der durchsichtige Versuch, die breite Unterstützung für das Kirchenasyl zu spalten.
Ich halte fest: Es gab das Kirchenasyl schon lange vor dem Dossierverfahren – und es ist auch nach dessen Ende noch ein Kirchenasyl. Kirchenasyl ist nicht wenn es dem Senator gefällt, sondern wenn eine Kirchengemeinde Schutz gewährt.
Wenn das Innenressort nun einen Teil dieses Kirchenasyls nicht mehr respektiert, dann soll es das bitte nicht mit realitätsfernen Definitionen verleugnen, sondern sich dem sehr breiten Widerspruch und Widerstand stellen, der die Reaktion darauf ist.
Ich möchte auch auf einen Punkt eingehen, der in der Stellungnahme und in öffentlichen Äußerungen des Senators vorkam, nämlich dass Ausländerbehörde und Innenressort im Interesse des Rechtsstaats geradezu dazu gezwungen seien, die Ausreisepflicht unter Bruch des Kirchenasyls durchzusetzen.
Auf die Ernsthaftigkeit dieses Argumentes (Legalitätsprinzip) muss ich gar nicht weiter eingehen. Wer in den Wohnstraßen z.B. Findorffs und der Neustadt den Fußweg benutzen möchte, oder dort regelmäßig ein Auto parkt, weiß, wie beharrlich das Innenressort sich verweigern kann, wenn es darum geht, geltendes Recht durchzusetzen.
Das wichtigste Maß für Rechtsstaatlichkeit ist nicht die rücksichtlose Durchsetzung von jeder noch so abwegigen behördlichen Entscheidung, sondern die Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen.
Das Dublinverfahren ist aus Gründen gescheitert. Nicht am Kirchenasyl, sondern an seinem eigenen absurden Anspruch, fast ausnahmslos alle europäischen Asylverfahren müssten an den Außengrenzen des Schengenraums stattfinden. (Die jetzige Bundesregierung beerdigt gerade die Reste dieses Dublinverfahrens, in dem sie an den Binnengrenzen Menschen rechtswidrig kontrolliert und zurückweist.)
Seit Jahren sind Abschiebungen im Dublinverfahren wegen der Weigerung anderer Staaten unmöglich oder wegen der dortigen Verhältnisse gerichtlich untersagt.
Es ist leere – allerdings im Einzelfall folgenschwere – Symbolpolitik, in dieser Situation geflüchtete Menschen von denen keinerlei Gefahr ausgeht und die ansonsten in der Regel eine Flüchtlingsanerkennung erhalten und in Bremen ihr zu Hause haben, nachts bis in eine Kirchengemeinde hinein zu verfolgen.
Seit einiger Zeit ist alle Interessierten in der Stadt bekannt, dass das Migrationsamt wegen seiner Überlastung Einbürgerungsanträge erst dann bearbeitet, wenn eine Untätigkeitsklage angedroht wird. Auch Rechtsansprüche und Visumsanträge werden monatelang einfach nicht beantwortet.1
Und diese vollkommen ausgelasteten Mitarbeitenden müssen hunderte Seiten dicke Akten produzieren und stundenlang nachts arbeiten, um gegen einen breiten und empörten Widerstand von den Bewohner*innen der Stadt dem Fetisch „Abschiebung“ zu huldigen.
Das ist in drastischer Weise unverhältnismäßig.
Und damit bin ich beim zweiten Anliegen der Petition, dem Schutz sensibler Orte. Auch die Kirchen sind natürlich solche Orte.
In Sachsen-Anhalt wurde vor knapp drei Wochen eine 10-jährige Schülerin von der Polizei aus dem laufenden Sportunterricht abgeführt, um sie abzuschieben. Es gab breite Berichterstattung und ebenso breite empörte Kritik an diesem Vorgehen, das für alle Schüler*innen und insbesondere für das betroffene Mädchen eine nicht hinnehmbare Belastung bedeutete.
Ich frage Sie: Wie wird sicher gestellt, dass etwas Vergleichbares in Bremen nicht geschehen kann?
Die Antwort lautet leider : Gar nicht. Es kann passieren. Denn der in der Petition angesprochene Erlass zum Schutz sensibler und besonders sensibler Orte vor polizeilichen Abschiebemaßnahmen hat sich nicht nur als unzureichend, sondern sogar als für seinen Zweck völlig unbrauchbar erwiesen.
Er unterbindet gerade nicht, (der Innensenator sagt das selbst in seiner Stellungnahme), dass Polizei und Ausländerbehörden in Schulen, Kitas, Krankenhäusern, Behörden, Jugendhilfeeinrichtungen, Kirchengemeinden usw. Angst und Schrecken verbreiten, sondern er regelt, in welchen Fällen das möglich sein soll, nämlich wenn das Innenressort im „Ausnahmefall“ zustimmt. Es geht also um die Ermöglichung von Abschiebungen an sensiblen Orten, die sich an diesen Orten eigentlich von vorne herein verbieten.
Hier geht es wieder um Definitionen. Wenn nicht klar und unmissverständlich – und öffentlich nachlesbar – festgelegt ist, was genau Ausnahmesituationen sein sollen, dann ist es keine Schutzregel sondern dann kann jederzeit die Ausnahme zur Regel werden.
Die Abwägung, was ein Ausnahmefall sein soll, bleibt jedoch äußerst vage. Eine Abwägung der Schutzinteressen der Zivilgesellschaft vor allgegenwärtiger Präsenz der Polizei kommen dabei gar nicht vor; weder im Erlass noch in der Stellungnahme des Innenressorts zu dieser Petition.
Es geht ausschließlich um die Möglichkeit der Abschiebung. Die so genannte Ausnahmeregel lautet also sinngemäß einfach: „Wir setzen Abschiebungen zwar bevorzugt woanders durch, aber wenn nach unserem nicht transparenten Ermessen notwendig, dann auch an sensiblen Orten.“
Anlass für den Erlass war Ende 2000 eine ähnliche Situation wie jetzt in Sachsen-Anhalt. 15 Polizist*innen durchsuchten im laufenden Unterrichtsbetrieb die Volkshochschule, um eine 19-jährige Iranerin abzuschieben und damit von ihren Eltern zu trennen. Sie sollten nachlesen, wie die mit betroffenen Schüler*innen und die VHS das erlebt haben.
Vor wenigen Monaten durchsuchten Polizist*innen im Auftrag der Ausländerbehörde eine Bremer Jugendhilfeeinrichtung (in der u.a. traumatisierte Jugendliche leben) um einen 19-jährigen von dort abzuschieben. Es wurde nicht nur der Betrieb einer besonders schutzbedürftigen Einrichtung nachhaltig gestört, sondern auch ein von den zuständigen Fachleuten aufgestellter Hilfeplan der Jugendhilfe (nach dem SGB 8) einfach umgeworfen und damit abgebrochen. Der gesundheitlich stark beeinträchtigte Jugendliche musste anschließend bis zum Oberverwaltungsgericht gehen, damit das Ressort nun – vorläufig – von der Abschiebung absieht.
Auch das wird vom Ressort wohl nicht als Bruch des eigenen Erlass zum Schutz sensibler Orte angesehen. Wurde eine eine „Ausnahme“ gemacht, wie beim Bruch des Kirchenasyls, oder es liegt daran, dass Jugendhilfeeinrichtungen im Erlass gar nicht vorkommen. Wir wissen es nicht, das Ressorts hat sich dazu nicht erklärt.
Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass Schulen, Kirchen, Beratungsstellen, Jugendhilfe, Gedenkstätten, Kultureinrichtungen usw. ihre wichtigen zivilgesellschaftlichen Aufgaben nicht erfüllen können, wenn jederzeit ein Abschiebeeinsatz droht. Und dass die Durchsetzung von Abschiebungen demgegenüber dann eben geringere Priorität haben muss. Das hat Anfang dieser Woche auch der Deutsche Ärztetag festgestellt, und für sein Fachgebiet gefordert, Abschiebungen aus stationären und weiteren medizinischen Einrichtungen müssten unzulässig sein.2
Die rücksichtslose Umkehrung dieser Prioritäten sorgt nicht für „Ordnung“. Indem sie den falschen Eindruck erweckt, Abschiebungen seien grundsätzlich legitim und überragend wichtig, trägt sie zur Demontage des Rechtsstaats bei.
Es gibt einen Begriff dafür, wenn die demonstrative (plakative) polizeiliche Durchsetzung behördlicher Entscheidungen immer und unbedingte Priorität vor zivilgesellschaftlichen Interessen hat: Das ist ein Polizeistaat. Zur Zeit können wir u.a. am Beispiel des US-Präsidenten und seiner gesetzeslosen Behörde „ICE“ aus der Ferne beobachten, wohin das führen kann.
Das konkrete Anliegen dieser Petition sind klare Vorgaben an Polizei und Ausländerbehörden, die den notwendigen Schutz von Einrichtungen der Zivilgesellschaft garantieren – z.B. durch einen solchen Erlass zum Schutz sensibler Orte, der unmissverständlich tatsächlich den Schutz dieser Orte regelt, und nicht bloß eine Prioritätenliste potentieller Abschiebeorte ist.
Konkret: Eine solche Regelung muss sensible Orte verlässlich schützen und Abschiebeversuche ausschließen, so wie es der deutsche Ärztetag fordert. Die Liste der Orte muss ergänzt werden: Selbstverständlich gehört die Jugendhilfe dazu. Und die Regelung muss selbstverständlich unter Beteiligung der zu schützenden Einrichtungen erstellt werden: Der Innensenator betont allzu oft und öffentlich, dass Abschiebungen für ihn hohe, wenn nicht oberste Priorität haben. Wurde also bisher der selbst ernannte Wolf damit beauftragt, eine Regelung zum Schutz der Schafe zu erlassen?
Kirchengemeinden gehören unzweifelhaft zu den sensiblen Orten. Das Kirchenasyl soll zukünftig wieder respektiert – und nicht wegdefiniert und gebrochen werden.
1https://www.weser-kurier.de/bremen/bremer-migrationsamt-brasilianer-wartet-fuenf-monate-auf-visum-doc80i3uexo9c0of6whlcy
2 https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Aerztetag/129.DAET/2025-05-30_129._DAET_Beschlussprotokoll.pdf, Seite 137