Interview: Newroz (JOG)

In der gleichen Situation wie ich

Interview mit Newroz von Jugendliche ohne Grenzen

Hallo Newroz, wie lange bist du eigentlich schon bei JoG
aktiv und wie fing das an?
Bei JoG bin ich seit Beginn 2009. Ich habe von einer Sozialarbeiterin bzw. Freundin von JoG (Jugendliche ohne Grenzen) erfahren. Sie hat uns damals im Kirchenasyl mitunterstützt und wollte mich zu einem Treffen bzw. zur Konferenz nach Brandenburg mitnehmen. Da ich aber von der Ausländerbehörde keine Erlaubnis bekam, bin ich nicht hin. Später bin ich dann zu einem Vorbereitungstreffen gegangen und traf dort viele andere, die in der gleichen Situation waren oder sind wie ich – also geduldet. Sie waren aber aktiv: Sie organisierten sich und diskutierten. Das alles hat mich sehr beeindruckt. Deshalb bin ich bis heute noch dabei, weil ich denke, junge Leute brauchen einen eigenen Schutzraum, wo sie selber Entscheidungen treffen können und selber aktiv werden, um an ihrer individuellen Situation und an der Gesamtsituation etwas zu ändern. Und JoG ist einfach ein sehr empowerndes Beispiel für Viele, weil es auch so viele unterschiedliche Geschichten von Menschen in sich hat, viele Gesichter und Geschichten und viel Power und Mut.

Was ist JoG und was unterscheidet euch von anderen Initiativen? Kann jede*r bei euch mitmachen?
JoG ist eine bundesweite, selbstorganisierte Initiative von jungen  Geflüchteten. Sie haben 2005 angefangen mit Unterstützung von anderen Gruppen, politisch auf der Straße und überall ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Sie haben ihre Stimme erhoben für die Rechte der Geflüchteten, besonders für Kinder und Jugendliche.
Der Unterschied ist, dass JoG selbsorganisiert von Jugendlichen ist. Bei uns können Jugendliche und junge Erwachsene mitmachen, die betroffen sind oder waren und auch politisch interessierte Jugendliche, die keine Fluchterfahrung haben.

Junge Geflüchtete sind mit besonderen Problemen konfrontiert, die ihren Alltag in Deutschland bestimmen.  Was sind die Herausforderungen für politisches Engagement auf der einen Seite, was das Potenzial und das Stärkende auf der anderen Seite?
Die Herausforderungen sind, dass die Rahmenbedingungen oft einfach zu schwierig sind: Orte zu finden, wo sich die Gruppe treffen kann, finanzielle Unterstützung zu bekommen, um sich überhaupt zu treffen. Die Fahrtkosten müssen gedeckt und Ansprechpartner gefunden werden, die einen begleiten können und die Orga unterstützen und begleiten können.

Oftmals ist die eigene Situation so unsicher, dass Jugendliche schnell wieder weg sind, weil sie sich um tausend andere Sachen kümmern müssen. Das Ganze dann selbstorganisiert zu machen, braucht auch Leute, die sich dafür viel Zeit nehmen und Energie reinstecken und die lokal benötigte Unterstützung bekommen. Es ist notwendig, dass lokale Strukturen, Organisationen und oder Gruppen ihre Räume und Ressourcen zur Verfügung stellen. Die politische Partizipation fördert in erster Linie die persönliche Entwicklung, Jugendliche lernen in den Prozessen der Selbsorganisierung extrem viel. Sie können sich frei entfalten und für sich selbst sprechen. In der Perspektivlosigkeit entwickeln sich neue Wege und Perspektiven, da man selber aktiv wird. Die Angst in der Isolation und wird teilweise überwunden, weil man um sich herum viele andere hat, die da sind und die unterstützen können. Das Gefühl, nicht allein zu sein und selbst was bewegen zu können, gibt einfach unheimlich viel Stabilität.

Ihr wählt jedes Jahr einen Landesinnenminister, der sich durch eine besonders rigide Ausweisungspolitik hervortut, zum Abschiebeminister des Jahres. Wie läuft die Übergabe ab und welches Feedback bekommt ihr von denen? Schon mal einen nach der Wahl wieder getroffen und mit ihm gesprochen?
Ja, die Aktion ist einfach wichtig, um öffentlich mehr Aufmerksamkeit zu schaffen. Die Minister können damit auch unter Druck gesetzt werden. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich: Es gab Minister, die sich darüber gefreut haben. Sie fühlten sich bestätigt, ihre Arbeit »richtig« zu machen. Andere wiederum haben gesagt, die Wahl sei »nicht fair«. Warum dies gesagt wurde, verstehe ich nicht, weil bei uns darf jeder wählen. Es wird da nicht auf den Ausweis geschaut, sondern wer da ist, darf auch wählen. Die Bundestagswahl liegt mittlerweile etwas zurück.

Wie siehst du die allgemeine politische Entwicklung in Deutschland und insbesondere das Erstarken der AfD?
Es ist schrecklich zu sehen, wie es zur Normalität geworden ist, dass Rassist*innen sich öffentlich überall ohne Probleme äußern können und nicht genug Gegenwind erfahren. Die AfD ist trotz allem in der Minderheit. Aber Fakt ist auch, dass die gesamtpolitische Lage sich nach deren Politik und Rassismus richtet und das ist noch erschreckender. Die Gesetze werden weiterhin verschärft, die grundlegenden Menschenrechte, wie Familienzusammenführung, werden mit Füßen getreten. Geflüchtete werden immer mehr entrechtet.
Andererseits gibt es flächendeckend auch eine Solidarität, die seit 2015 geblieben ist. Es gibt viele Menschen, die sich weiterhin mit und für Geflüchtete einsetzen.

(Winter 2017)