Ohne Debatte hat Bremen das Recht auf Widerspruch gegenüber den Ausländerbehörden abgeschafft. Der Flüchtlingsrat fordert eine Korrektur dieser Amputation des Rechtsschutz.
Anfang September hat Bremen das Widerspruchsverfahren in aufenthaltsrechtlichen Verfahren abgeschafft, auch für Unionsbürger*innen und ihre Familienangehörigen. Wer behördliche Entscheidungen für falsch oder willkürlich hält, kann nun keinen Widerspruch mehr dagegen einlegen. Dieses Rechtsmittel wurde ersatzlos gestrichen. Betroffenen bleibt einzig der direkte Gang zu einem Gericht.
Eine Klage kann schon an formalen Kriterien scheitern, während das Widerspruchsverfahren formlos war. Es können hohe Gerichtsgebühren anfallen. In der Regel wird eine kostenpflichtige anwaltliche Vertretung benötigt. Das Aufenthaltsrecht ist eines der kompliziertesten und unübersichtlichsten Rechtsgebiete, die Bundespolitik nimmt in kurzen Abständen immer weitere Verschlechterungen vor. Es besteht zudem ein extremes Machtgefälle zwischen Betroffenen und Behörden.
Insgesamt schreckt ein Klageverfahren Menschen eher von der Wahrnehmung ihrer Rechte ab. Während es für die Betroffenen dabei um existenzielle Fragen geht, will sich der Innensenator offenbar nicht aufhalten mit der ‚Wahrung der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung, der Entlastung der Gerichte und dem Rechtsschutz der Betroffenen‘, wie das Widerspruchsverfahren in juristischen Fachkommentaren beschrieben wird.
Umso erschreckender ist es, dass die Perspektive der Betroffenen und von Fachleuten bei der Abschaffung gar nicht berücksichtigt wurde. Diese Amputation am Rechtsweg beruht allein auf der Behauptung des Innensenators, für Widerspruchsverfahren „bestehe kein fachliches Bedürfnis mehr“.
„Es kann kaum überraschen, dass der Innensenator kein Bedürfnis nach Widersprüchen gegen Entscheidungen seiner Ämter hat. Wie es dagegen aus der fachlichen Sicht von Betroffenen, Beratungsstellen, Anwält*innen und Gerichten aussieht, wurde vorsichtshalber gar nicht erst gefragt“, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen dazu.
Die Bürgerschaft hat das Gesetz Ende Juni ohne Debatte verabschiedet. Der Senat stellte die Abschaffung in den Kontext von „Entbürokratisierung“ und angeblich damit sinkenden Kosten. Diese wurden jedoch weder berechnet noch plausibel gemacht. Im Gegenteil: Laut einem dem Flüchtlingsrat vorliegenden Schreiben an die Senatorin für Justiz und Verfassung rechnet das Innenressort selbst mit deutlich mehr Gerichtsverfahren als Folge der Änderung. Erwähnt wird auch, dass bisher bis zu 35% der behördlichen Entscheidungen im Widerspruchsverfahren abgeändert wurden.
Beim angeblichen Bürokratieabbau handelt es sich also tatsächlich bloß um einen Abbau von Rechtsschutz. Gestrichen wurden nicht überflüssige Formulare oder bürokratische Hürden, sondern eine konkrete Möglichkeit des Zugangs zu wichtigen Rechten.
„Der Widerspruch ist die einzige Möglichkeit, eine schnell aus Textbausteinen zusammen geklickte Ablehnung relativ niedrigschwellig auf behördlicher Ebene überprüfen zu lassen – und muss schon deswegen wieder ermöglicht werden“, fordert Gundula Oerter für den Flüchtlingsrat Bremen.
Besonders angesichts der absurd restriktiven und menschenrechtswidrigen bundesgesetzlichen Grundlagen braucht es auch zukünftig bei der Ausführung des Gesetzes durch die Behörden in Bremen ein Minimum an praktischem Rechtsschutz. Daher fordert der Flüchtlingsrat den Senat und die Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei dazu auf, das Widerspruchsverfahren wieder einzuführen.




