Polizei und Migrationsamt haben Anfang Dezember 2024 im Auftrag des Innensenators versucht, das Bremer Kirchenasyl zu brechen. Dabei wurden von Innensenator Mäurer und inzwischen auch Bürgermeister Bovenschulte mehrfach irreführende und falsche Behauptungen aufgestellt. Wir dokumentieren und kommentieren dies hier.
Dieser Text wurde am 6.12. erstellt und seitdem mehrfach ergänzt.
„Die Kirche stellt den Rechtsstaat in Frage“
Das wichtigste Maß für Rechtsstaatlichkeit ist die Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen. Bei einem Dublinbescheid handelt es sich nicht um ein um jeden Preis zu vollstreckendes Strafurteil, sondern um eine (faktisch bereits gescheiterte) Verwaltungsregelung zur Herstellung einer fragwürdigen Ordnung. Wie auch immer man zum aufgesetzten parken auf Bremer Fußwegen steht; der Vorwurf, die Autofahrer*innen würden den Rechtsstaat in Frage stellen, hat dort augenscheinlich weit weniger Gewicht.
„Die Kirchen halten sich nicht an Vereinbarungen mit dem BAMF“
Das BAMF veröffentlichte im Juli 2015 einen Ergebnisvermerk zu einer Vereinbarung zwischen BAMF und Vertretern der christlichen Kirchen:
https://asyl-bc.de/application/files/7214/3714/1500/20150717_Kirchenasyl.pdf.
Darin steht kein Wort von einer Verpflichtung der Kirchen oder der Betroffenen, das Kirchenasyl im Fall eines zurückgewiesenen Härtefalldossiers zu verlassen. Den Satz „Die abgelehnten Asylbewerbenden verlassen innerhalb von drei Tagen nach dieser Mitteilung das Kirchenasyl“ fügte das BAMF im November 2022 einem behördenintern benutzten Merkblatt hinzu.
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/merkblatt-kirchenasyl.pdf?__blob=publicationFile&
Es sind also nicht die Kirchen, die eine Vereinbarung brechen. Das BAMF stellt vielmehr eine nachträgliche, eigene Interpretation fälschlich als Teil der ursprünglichen Vereinbarung dar. Davon abgesehen hat die Vereinbarung keine rechtlich bindende Wirkung. (VGH München, Urteil vom 12.02.2020 – 14B 19.50010; www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2020-N-1946?).
Senator Mäurers Gerede von einer „Geschäftsgrundlage“ mit den Kirchen verdeutlicht, dass er gezielt ignorieren will, worum es beim Kirchenasyl geht: Um das menschenwürdige Leben von konkreten Personen.
„Das BAMF hat im aktuellen Fall die Überstellungsfrist verlängert“
Die Verlängerung der Überstellungsfrist war nicht vom BAMF, sondern von Mäurers Migrationsamt beantragt worden. Ziel war es, das offene Kirchenasyl auch rechtlich als „Untertauchen“ zu kriminalisieren. Dies hat das Verwaltungsgericht Bremen in einem Eilverfahren schon nach wenigen Stunden verworfen. Das von Mäurer versuchte Exempel einer Abschiebung aus dem Kirchenasyl wurde ihm gerichtlich untersagt.
„Es sind zu viele Kirchenasyle“
Die im Koalitionsvertrag vereinbarte „humanitäre Migrationspolitik“ wurde nicht an eine Obergrenze gebunden. Menschenrechte haben keine Stückzahl.
Die wachsende Zahl der Menschen im Kirchenasyl ist eine Folge der rücksichtslosen und menschenrechtswidrigen Verschlechterungen des Asylrechts in den letzten Jahren.
„Bremen hat das Konzert aller Länder verlassen“
Ulrich Mäurer hat noch nicht verstanden, dass die Kirchengemeinden kein wohlklingender Ton im furchtbaren Konzert der menschenfeindlichen Politik sein möchten. Sie unterstützen konkrete einzelne Menschen, die ihre Lebensperspektiven von dieser Politik bedroht sehen und deswegen um Schutz nachsuchen. Eine steigende Zahl von Kirchenasylen ist daher zu aller erst ein Anzeichen dafür, dass das Durchsetzen auch noch der absurdesten Regelungen von einem immer größeren Teil der Gesellschaft nicht mehr mitgetragen und hingenommen wird.
In Mäurers Zahlen sind die in anderen Bundesländern häufiger vorkommenden stillen Kirchenasyle nicht enthalten.
„Die kommen von sonst wo hier her“
Der Innensenator äußert sich zum wiederholten Mal herablassend und respektlos über Schutzsuchende und ihre Unterstützer*innen. Ein Kirchenasyl ist kein abstraktes „Verfahren“, sondern ein intensives, aufwändiges und mit vielen Emotionen verbundenes Miteinander der beteiligten Menschen. Übrigens verweigert der Innensenator den Bremer*innen im Kirchenasyl den Zugang zur Bremer Härtefallkommission mit dem Argument, Bremen sei für keinen einzigen Fall örtlich zuständig, sondern ausschließlich die Bundesbehörde BAMF.
Ausnahme(n) vom Erlass 312/20-2 ?
Im Oktober 2020 erließ Innensenator Mäurer eine Regelung zum Schutz von besonders sensiblen Orten (unter anderem Kirchen) vor polizeilichen Maßnahmen:
https://www.fluechtlingsrat-bremen.de/wp-content/uploads/A_TOP_5.1_-_Erlass_ueber_das_geplante_Einschreiten_bei_Zurueck-oder_Abschiebung_aus_sensiblen_Bereichen.pdf
Anlass war die berechtigte Empörung über einen beängstigenden Polizeieinsatz im laufenden Unterrichtsbetrieb der Volkshochschule.
Abschiebungen an solchen Orten wurden unter einen senatorischen Genehmigungsvorbehalt im Ausnahmefall gestellt. Senator Mäurer hat an keiner Stelle erläutern können, worin im vorliegenden und den bevorstehenden Fällen die Ausnahmekonstellation bestehen soll, die das gewaltsame Eindringen in einen vom Senator selbst als besonders sensibel beschriebenen Ort rechtfertigen soll.
Die unbenannte „Ausnahme“ soll offenbar in Dublinfällen zur Regel werden. Mit anderen Worten: Senator Mäurer unterläuft vorsätzlich seinen eigenen Erlass.
„Das BAMF hat einen Härtefall verneint.“
Die Zuständigkeit zur Prüfung der Dossiers in Kirchenasylfällen wurde innerhalb des BAMF von der Qualitätssicherung zum Dublinreferat übertragen. Seitdem „überprüft“ dieses Referat seine eigenen Entscheidungen. Die extrem abnehmende Anerkennungsquote erklärt sich nicht durch mehr Fälle mit weniger Härtefallgründen, sondern durch politische Vorgaben im BAMF, die Zahl der Kirchenasylfälle zu reduzieren.
https://www.jrs-germany.org/was-wir-tun/kirchenasyl/das-dossierverfahren
„Das Innenressort hat die Ablehnung des Dossiers durch das BAMF geprüft“
Diese Prüfung geschah erst, nachdem bereits ein Termin zur Überstellung mit Finnland vereinbart und ein Abschiebeflug gebucht war. Wir halten sie daher für bloßes Theater.
„Wir haben wegen europäischem Recht überhaupt keinen Spielraum“
Die Dublinverordnung ist aus guten Gründen gescheitert und wird in der Mehrzahl der Fälle von den zuständigen Staaten nicht beachtet. Die Behauptung, ausgerechnet Bremen müsse nun vorangehen um von hier aus europäisches Recht durchzusetzen ist ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver.
„Wir reden hier nicht über die Abschiebung in die ursprünglichen Herkunftsstaaten, schon gar nicht in Bürgerkriegsgebiete oder dergleichen“
Nicht nur das Dublinsystem ist faktisch gescheitert. Auch die Berücksichtigung der Mindeststandards im Asylverfahren ist in Europa nicht gewährleistet. In den Zielstaaten der Abschiebungen kommt es zu verbotenen Push-backs, Schüssen auf Flüchtende, Inhaftierung, Folter, Versagung von Wohnraum, Essen und medizinischer Versorgung und zur Verweigerung eines Asylverfahrens einschließlich der Abschiebung in die Verfolgerstaaten. Manche Staaten erklären selbst, dass sie die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK (rechtswidrig) aussetzen. Innensenator Mäurer und Bürgermeister Bovenschulte wissen das, denn diese Menschenrechtsverletzungen sind gut dokumentiert.
„Wir haben gegenüber dem BAMF überhaupt keinen Spielraum“
Es ist richtig, dass das BAMF in den meisten Dublinfällen die Abschiebung nach § 34 a AsylG anordnet. Für die Durchführung dieser Anordnung ist jedoch nicht das BAMF, sondern das Migrationsamt zuständig. Dazu gehört selbstverständlich die eigenverantwortliche Abwägung, ob eine Abschiebung unter den gegebenen Verhältnissen zumutbar, verhätnismäßig und durchführbar ist. In einem Rechtsstaat kann aus keiner gesetzlichen Vorgabe folgen, dass eine repressive Maßnahme um jeden Preis, unter allen Umständen und vorrangig gegenüber allen anderen Aufgaben durchgezogen werden muss.
Innensenator Mäurers Selbstdarstellung als lediglich ausführender Handlanger des BAMF steht zudem offensichtlich in direktem Widerspruch zum bisherigen Umgang mit dem Kirchenasyl. An der Rechtslage hat sich nichts geändert.
Mäurer nennt „steigende Zahlen“ selbst als Anlass zur Änderung seiner bisherigen – 16 Jahre währenden Haltung der Duldung des Kirchenasyls. Und entlarvt damit die Behauptung, keinen Spielraum zu haben, selbst als Vorwand.
„Wir haben vom BAMF eine Aufforderung bekommen, der wir Folge leisten müssen“
Neben der allgemeinen Abschiebeanordnug nach § 34a AsylG (siehe oben) hat es keine Aufforderung des BAMF an das Migrationsamt gegeben, das Kirchenasyl zu brechen. Aus dem Schriftwechsel zwischen dem BAMF und dem Migrationsamt, den der Rechtsanwalt des Betroffenen einsehen konnte, ergibt sich im Gegenteil, dass das Migrationsamt das BAMF um eine solche Aufforderung gebeten hat und dieses Anliegen zurückgewiesen wurde. In einer Mitteilung des BAMF an das Migrationsamt heißt es:
„Wir bitten um Verständnis, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Blick auf die Zuständigkeit der Ausländerbehörden für den Vollzug von Überstellungen nicht zur Vornahme von Überstellungen aus dem Kirchenasyl ausdrücklich auffordern kann.“
An anderer Stelle in der Kommunikation zwischen den Behörden heißt es:
„Für den Vollzug der Überstellung und die Entscheidung über Art und Weise, wie diese tatsächlich erfolgt, sind die Ausländerbehörden originär zuständig.“
Es gab und gibt weder einen rechtlichen Zwang noch eine ausdrückliche Aufforderung des BAMF, Kirchenasyle zu brechen. Es handelt sich um eine politische Entscheidung von Innensenator Mäurer.
Nachtreten durch Verlängern der Überstellungsfrist
Kaum zwei Stunden nach dem misslungenen nächtlichen Versuch das Kirchenasyl zu brechen, hat das Migrationsamt eine Verlängerung der Überstellungsfrist von 6 auf 18 Monate in die Wege geleitet. Es wird behauptet, Ayub I. sei flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung.
Zur Begründung wurde unter anderem behauptet, der Zugang zum Kirchenasyl sei von 60 vermummten Personen blockiert gewesen, es sei mit aktiven Widerstandshandlungen zu rechnen gewesen, die Maßnahme sei zum Schutz der Polizeikräfte abgebrochen worden. Über diese Lügen würden die Kirchenmitglieder, ihr Pastor, die Omas gegen Rechts, der Flüchtlingsrat und viele andere, die sich dem Migrationsamt mit Gesicht und Namen passiv und friedlich entgegengestellt haben, gerne lachen. Wenn es denn nicht eher zum Weinen wäre.
Das Verwaltungsgericht Bremen hat die Durchführung dieser Abschiebung inzwischen in einem Eilverfahren unterbunden.
„Das Kirchenasyl hat für mich als Bürgermeister wie für viele andere Bremerinnen und Bremer einen hohen humanitären Wert, den es zu schützen und zu bewahren gilt“
Mit dieser Behauptung kündigte Bürgermeister Bovenschulte „vertrauensvolle Gespräche“ zwischen Innensenator Mäurer und der Bremischen Evangelischen Kirche an. Von Vertrauen kann jedoch keine Rede sein. Eine Mindestvoraussetzung dafür wäre eine Aussetzung der Angriffe auf das Kirchenasyl. Ein solches Moratorium haben jedoch bisher weder Bürgermeister Bovenschulte noch Innensenator Mäurer zugesagt. Humanitäre Werte kann man nicht schützen und bewahren, nachdem man sie zerstört hat.